Mum & Dad: Review von Arelinchen (Schnittberichte.com) (2024)

"Mir gefällt's zuhause. Mum und Dad sorgen für uns, es fehlt uns an nichts." Scheint ein schrecklich nettes Zuhause zu sein, von dem uns Birdie in den ersten Minuten Laufzeit munter plaudernd erzählt. Dass Birdie noch so einiges erzählen wird, ist klar, ihr Name ist schließlich von zwitschern abgeleitet und dass sie viel redet erklärt sie überflüssigerweise gleich mal mit. Wäre nicht nötig gewesen, denn das findet der Zuschauer problemlos nach kurzer Zeit ganz von selbst heraus. Und nicht nur der Zuschauer...

Der Film beginnt mit dem Aufeinandertreffen von Birdie und der Polin Lena, welche beide als Reinigungskräfte im Flughafen arbeiten. Plappermaul Birdie begegnet der neuen Kollegin sehr zuvorkommend und mit großem Interesse. Erkundigt sich nach Lenas Herkunft und, offenbar zerrütteten, Familie, teilt ihr mit ordentlich Fantasie ausgeschmückt Anekdoten aus dem Berufsalltag mit und schwärmt von ihrem eigenen Zuhause.

Während einer kurzen Pause stoßen die beiden auf Birdies sogenannten Adoptivbruder Elbie, im Gegensatz zu seiner Schwester ein äußerst schweigsamer Zeitgenosse mit leicht geduckter Körperhaltung und einem stets irgendwie fragenden Gesichtsausdruck.

Birdie erweist sich bereits am Anschluss an diese Pause als falsche Schlange, die das Putzen des Bürogebäudes dafür nutzt, ohne Scheu vor der ihr zusehenden Lena in Schubladen zu wühlen und in ihren Taschen verschwinden zu lassen, was sie für nützlich hält. Der Charakter der Birdie ist, das wird hier bereits klar, die pure Durchtriebenheit. Von Ainsley Howard großartig gespielt möchte man sie am liebsten durch den Bildschirm durch packen und schütteln oder ihr mit was auch immer das Mundwerk stopfen.

Darstellerisch überzeugt ebenso Olga Fedori als zurückhaltendes Rehauge Lena, ganz zu schweigen von Perry Benson als Dad, zu ihm aber später mehr.

Dass Lena nach Schichtende den ihr so wichtigen letzten Bus verpasst, ist rein Birdies Handeln und keinem Zufall zu verdanken. Welche sich sehr reumütig gibt und, um der armen Kollegin die Kosten für ein Taxi zu ersparen, ihren Vater als Fahrdienst anbietet. Schließlich liegt das traute Heim ihrer Familie nur wenige Gehminuten entfernt.

Begeisterung strahlt Lena nicht aus, nimmt das Angebot aber zögerlich an. Kaum angekommen, findet sich Lena plötzlich alleine in der Stube wieder, Birdie und Elbie scheinen vom Erdboden verschluckt. Nein, dass Lena ausgeknockt wird, überrascht den geneigten Horror-Vielseher an dieser Stelle nicht. Und die Inhaltsangabe des Covers lässt bereits erschließen, was es mit der Spritze, welche in Lenas Hals inji*ziert wird, auf sich haben könnte.

Lena erwacht in einem Bett in einem kargen, schäbigen Kellerraum. Schreie aus dem Nebenzimmer lassen nichts Gutes erahnen. Eine schreckliche Familie, ja. Von Nettigkeit keine Spur. Schnaubend tritt Dad auf die Bildfläche, mit schief sitzender Brille, einem blutverschmierten Feinripphemd über dem stattlichen Wanst. Einfach nur grandios, wie optisch sowie auch in Sachen Verhalten glaubwürdig ekelhaft dieser dargestellt wird! Spätestens bei einer später folgenden Szene mit ihm - Stichwort Fußmassage - kommt da schonmal Würgereiz auf.

Auf den ersten Blick keineswegs zu diesem Widerling passend, gesellt sich auch Mum dazu. Eine gepflegte Frau mit einer sanften Stimme, die Lenas Wangen streichelt und sie mit Kosenamen wie "Engelchen" und "mein Kind" anspricht. Lena gut zuredet, sich ihr als Mum vorstellt, während Lena auf "ihren" blutverschmierten Dad starrt.

Die Regeln in der Familie sind streng: Es wird hart gearbeitet und die Kinder gehorchen. Im Beisein ihrer "Eltern" kann sogar Birdie richtig kleinlaut werden und nach Schelte sogar zum heulenden Trotzkopf mutieren. Sowohl ihre Eifersucht auf die von Mum angehimmelte Lena als auch ihre sadischtische Ader verbirgt sie dennoch nie vollkommen. Blicke sprechen zu lassen gelingt hier wirklich ausgezeichnet.

So viel zum Start in das Geschehen, Konfliktpotential vorprogrammiert. Klar, die Ausgänge des Hauses sind verriegelt und die Fenster vergittert, Türen knarren und irgendein Familienmitglied hat stets ein wachsames Auge auf Lena. Was ein Wutausbruch Dads bedeutet, bekommt jene nach einem Fluchtversuch deutlich zu spüren und trägt zahlreiche Blessuren davon. Man fiebert mit Lena mit, die sich bemüht, artig zu sein und dabei verzweifelt Fluchtmöglichkeiten ausfindig zu machen versucht und dabei mehrfach unschöne Erfahrungen und Entdeckungen macht. Langeweile bleibt über die gesamte Laufzeit hinweg aus.

Und trotz alledem: Mit Folterhorror im altbekannten Sinne haben wir es hier nicht zu tun. Mum & Dad kann mit irren, klasse dargestellten Charakteren punkten, ebenso mit reichlich Psychoterror und -spielchen. Zwar werden einzelnen Protagonisten in der Summe Dutzende Stichwunden zugefügt, das Ergebnis einer Enthauptung und diverse fein zerlegte Körper(teile) gezeigt, von einem Splatterfilm ist dieses Werk dennoch weit entfernt.

Als mit der Zeit lästig empfand ich die häufige Einblendung von Flugzeugen im Landeanflug. Dass sich das Geschehen in der Einflugschneise des Flughafens abspielt wissen wir schließlich von Beginn an, daran muss nicht ständig erinnert werden. Ist zwar schön, dass sich eine ausweglos scheinende Situation mal nicht in der klassischen einsamen Hütte im Wald abspielt, aber das regelmäßige Flugzeugdröhnen nervt eher, als irgendeine Wirkung zu erzielen.

Was hingegen noch positiv zu erwähnen ist, ist der, rabenschwarze Humor, der gelegentlich durchblitzt. Ein Dad im Morgenmantel mit Unmengen hellblauem Lidschattem im Gesicht erfüllt sich den Traum "endlich Mum zu sein". Eine völlig überdrehte Birdie sorgt mal eben durch das Abreißen von Kalenderblättern für Weihnachten, wobei natürlich ein frisch Gekreuzigten, namenloser junger Mann an der Wand nicht fehlen darf. Nein, keine Sorge, diesen Szenen sind zwar herrlich skurril, aber ganz sicher kein dämlicher Klamauk.

Ich kann für alle, die für Horror zu begeistern sind, guten Gewissens eine Empfehlung aussprechen. Auch nach mehrmaliger Sichtung wird Mum and Dad nicht langweilig und Birdie nicht weniger hinterlistig/nervig. Ein gelungener britischer Genrebeitrag, der sich eine Wertung mit 9/10 verdient hat.

9/10

Mum & Dad: Review von Arelinchen (Schnittberichte.com) (2024)

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